„Um die Zukunft – Gestritten“
von Barbara Bornschlegel (Kommentare: 0)
Neues digitales Debattenformat des Arbeitskreis Politik geht an den Start
Es sei eine gute Geschichte! Es sei ein tolles, ein ungewöhnliches, ein ansprechendes Format! Lobende Worte, die durchaus nachhallen, lobende Worte nach einer gesitteten Debatte, in der sich zwei Abgeordnete der Frage nachgegangen sind, wie man den ländlichen Raum zukunftssicher aufstellen möchte. Kein Klagen, kein großes Nachsinnieren über die guten alten Zeiten, vielmehr ein reflektierter, ein engagierter Blick nach vorn, vielmehr die Erkenntnis, dass die bayerische Staatsregierung den ländlichen Raum nicht vergisst … Ein tiefgreifender Wandel in einer Region, die lange Zeit abgehängt gewesen ist, bei der Pessimisten sogar befürchtet haben, dass diese kulturellen Kleinmetropolen langsam verschwinden würden – wie viele andere ländliche Räume auch – zwischen den großen Ballungszentren, den großen Metropolregionen. Als ob Bayern nur daraus bestehe!
Soeben hat Tobias Pohl, Leiter des Arbeitskreis Politik am Frankenwald-Gymnasium in Kronach, die erste digitale Debatte der Reihe „Um die Zukunft – Gestritten“ beendet: Zwei Politiker, die Stellung nehmen sollen zu einem Thema, dass kontrovers ist, dass die Bayern beschäftigen muss, dass aber ein wenig aufgrund der Vielzahl der scheinbar wichtigeren Meldungen unterzugehen droht. Jürgen Baumgärtner, Landtagsabgeordneter der CSU, und Klaus Adelt, SPD-Landtagsabgeordneter und Mitglied des Ausschusses für kommunale Fragen, haben sich die Zeit für diese Debatte genommen. Eine erwartete politische Auseinandersetzung um die üblichen Themen hinsichtlich dieses Rahmenthemas; ungewöhnlich ist sie doch gewesen, denn anstatt eines Treffens im analogen Raum haben sich die beiden Politiker mit ihrem Moderator im digitalen Raum verabredet, haben die Politiker strengen Regeln, orientiert an den Regeln des bekannten Wettbewerbsformats „Jugend debattiert“, zugestimmt und haben sich dieser scheinbar vollkommen neuen Form der Debattenaustragung gestellt.
Drei Kacheln - zwei Politiker und ein Moderator - und zwischen diesen drei zugeordneten Teilnehmern ein Hin und Her aus rhetorisch fein vorgetragenen Statements, entrüsteten Entgegnungen, kleineren verbalen Sticheleien und den diesen entgegengesetzten Verteidigungen … Sobald ein Teilnehmer das Wort ergreift, ist er aufgrund der digitalen Besonderheit urplötzlich mittig für alle sichtbar: Augenblicklich hört man ihm zu! Anders als in einer emotionalen Diskussion im analogen Raum unterbricht man sich nicht, vielmehr legt man sich die eigene Replik zurecht, vielmehr durchdringt man das Gesagte des politischen Gegners inhaltlich und kontert - manches Mal ein wenig leise, manches Mal ein wenig lauter, stets aber mit der gebotenen Höflichkeit, stets mit dem Lächeln und dem Wissen, dass man dann, wenn man das Wort erhält, zu reden beginnen darf - in dem Wissen, dass die anderen wohlwollend zum Zuhören genötigt sind. Jede scheinbar, übertriebene, bisweilen sinnlose Affektivität einer Diskussion im analogen Raum weicht einer sachlichen Emotionalität, einer Verbundenheit mit der Thematik, einem Engagement in der Sache.
Diese Form der politischen Auseinandersetzung war anders, ist anders! Das Publikum fehlt, wird erst im Nachhinein in einem digitalen Klassenzimmer hinzugebeten werden. Der Austausch findet zwischen den politischen Experten statt; der Moderator, kein Dompteur politisch geübter Streithähne, kann sich auf die Debattenleitung konzentrieren, Stichworte eingeben, Themen vertiefen, Kontroversen reflektieren …
Diese erste Debatte war zu Beginn für alle Beteiligten noch neu, schlicht nicht vertraut: Kein Murren, kein Beifall - vielmehr ein Hineintasten in diese neue Form des politischen Gesprächs, ein behutsames Vertrautmachen mit den Regeln dieses Formats: Ein Statement zu Beginn, dann die freie Aussprache und schließlich ein Statement am Abschluss. Und dazwischen ein Moderator, der fragt, etwas pikst, etwas zuspitzt, reflektiert, weiterleitet …
Den ländlichen Raum zu erhalten gehe nur gemeinsam, so Baumgärtner in seinem Eingangsstatement. Der ländliche Raum habe dann Zukunft, wenn die Landkreise, die von diesen Entwicklungen besonders betroffen seien, nicht Konkurrenten seien, vielmehr Partner. Speziell hat sich der CSU-Landtagsabgeordnete hierbei auf die Zusammenarbeit der Landkreise Coburg, Kronach und Hof bezogen; beispielhaft sei hier die Zusammenarbeit der Hochschule Coburg und der Hochschule Hof, die am Lucas-Cranach-Campus Studiengänge anbieten werden.
„Man muss den ländlichen Lebensraum ganzheitlich entwickeln.“, so der für den Stimmkreis Kronach und Lichtenfels verantwortliche CSU-Politiker. Ganzheitlich heißt, dass man, so schwer es manches Mal auch fallen mag, alles im Blick haben muss. An den Lebensphasen müsse man sich orientieren, den Menschen in der ländlichen Region und dessen grundlegende Bedürfnisse abdecken: Kita-Platz, schulische Bildung, Ausbildung, Beruf …
Man gehe leichtfertig über die Vorteile der ländlichen Region hinweg; man erkenne nicht die Chancen, welche die ländlichen Regionen hätten. Bezahlbarer Wohnraum, Erholungsgebiete, Ruhe, ein scheinbar natürlicher Ausgleich zwischen Arbeit und Leben.
Dass man den ländlichen Raum ganzheitlich betrachten muss, sieht auch der SPD-Politiker. Gleichwohl muss man, so Adelt, das ganzheitliche Konzept dann auch konkret weiterdenken: Familien könne man nur dann in der Region halten, wenn die grundlegenden Herausforderungen des Familienlebens angegangen und gelöst werden. Eine qualitativ ansprechende schulische Bildung, die Lösung des ÖPNV, Fragen der Nahversorgung, schließlich aber auch Fragen der Lebensqualität.
Familien gehen nicht nur arbeiten, versorgen nicht nur die Kinder; sie haben Ansprüche, wollen etwas erleben. Restaurants, Kinos, Theater … Eine kulturelle Infrastruktur, bei der der ländlichen Raum zurecht die Frage nach der Wirtschaftlichkeit, nach der Finanzierbarkeit stellt. Hier sind sich beide Landespolitiker einig. Gleichwohl muss dieses Dilemma gelöst werden. Nur wie?
„Es geht nur gemeinsam, denn wir haben andere Mitspieler; das sind die Ballungszentren und die Metropolregionen, die unseren ländlichen Raum etwas belächeln.“, so der für den Wahlkreis Oberfranken tätige SPD-Abgeordnete. Die ländliche Region habe Stärken, habe Möglichkeiten, habe Chancen, sich gegen diese Trends der Urbanisierung zu behaupten, etwas in die Waagschale zu werfen, was die Metropolregionen schlicht nicht haben.
Coburg, Kronach, Lichtenfels und Hof, diese Landkreise haben aufgeholt, behaupten sich zunehmend gegen den nach wie vor starken Sog der wachsenden Regionen. Der bedenkliche Trend sei gestoppt, man habe man die Infrastruktur verbessert, Hochschulen in den ländlichen Raum gebracht, so Baumgärtner. Zudem habe die Pandemie das Bewusstsein für den ländlichen Raum verändert.
Trotz eines leidenschaftlichen Plädoyers des SPD-Politikers für ein Leben in den von Wäldern umgebenen oberfränkischen Naturregionen stellt man dennoch fest, dass es die Familien nach wie vor in die Metropolen zieht: Ein zu langer Schulweg, so die einen, das zwar bestehende, aber dann doch vielleicht nicht ausreichende Kulturprogramm, so die anderen, schließlich eine mögliche Enge .. Eine Wahrnehmung, die ein wenig an der Realität vorbeizugehen scheint, so die Klage beider Politiker; als ob man ein Zuviel möchte und dabei vergesse, dass man ein Anderes erhalte, ein finanzierbares Leben im Eigenheim, die Chance auf Natur, die Möglichkeit, der Hektik der Großstädte entfliehen zu können. Eine Wahrnehmung, die davon zeugt, dass eine Kluft zwischen Anspruchshaltung und Notwendigkeitsdenken besteht, zwischen übertriebenem Wunsch und wohlwollender Wirklichkeit!
Es ist eine bedauernswerte, eine traurige Feststellung, dass lediglich zehn Prozent der Abiturienten nach ihrem Studium in ihre Heimat zurückkehren - die ländliche Region. Als ob eine verändert Mentalität dazu geführt hat, dass diejenigen, die einmal ihrer Region den Rücken gekehrt haben, nicht mehr zurückkommen wollen, nicht mehr zurückkommen können, weil ihr Lebensentwurf scheinbar nicht mehr in die Region zu passen scheint.
„Die Ansiedlung der Hochschulen in Hof, in Kronach und in Coburg ist ein erster, ein wichtiger Schritt!“; so Adelt. Dadurch hält man junge Menschen in der Region, deren Wissen, deren Knowhow, dadurch unterbreitet man Angebote, dadurch gewinnt man junge Menschen, die junge Familien gründen wollen.
Es muss sich natürlich rechnen. „Ein Unternehmen siedelt sich dort an, wo es die besten Rahmenbedingungen findet.“, so Baumgärtner. Dort also, wo es Universitäten gibt, wo es Hochschulen gibt, wo es ein kulturelles Angebot gibt, wo es … Coburg, Kronach, Hof, sie sind auf dem richtigen Weg, sie schaffen jene Rahmenbedingungen, sie locken …
Und doch klingt es manches Mal so, als müsse der ländliche Raum die gleichen Rahmenbedingungen schaffen wie die Metropolen. Nein! Nicht die gleichen, vielmehr ähnliche, andere, innovative. Eine Aufgabe, die Erfindungsgeist fordert, die dazu anregt, neue Wege zu gehen, eine Aufgabe, die ureigen ist dem Leben auf dem ländlichen Raum. Jene Neuentdeckung im Bewährten, jene behutsame Modernisierung im bis dahin überzeugten Traditionellen, das ist der Weg, den der ländliche Raum gehen muss. Es muss sich rechnen, aber es muss gleichwohl Angebote machen, die einer veränderten Mentalität entgegenkommen, die junge Familien davon überzeugen, dass ein Leben im ländlichen Raum sicherlich nicht einem Leben in den Metropolregionen entspricht, gleichwohl aber der Zauber des ländlichen Raums eine Kraft zu entfalten vermag, notwendigerweise durch die Politik unterstützt, die dazu führt, dass sich Familien bewusst für ein Leben im ländlich Innovativen, im ländlich Kreativen, im schlicht Anderen entscheidet. Als ob eine Rückkehr nicht als Entscheidung gegen etwas verstanden wird, vielmehr als ein Bekenntnis dafür!
Innovativ und kreativ? Anders? Es scheint fast so, als habe dieses neue Format „Um die Zukunft -Gestritten“ genau dies vorgemacht, was die Teilnehmer der Debatte sich gewünscht haben. Ein neues Format, ein anderes Format!
Politische Bildung! Kreativ und innovativ, so scheint es, ist der Arbeitskreis Politik des Frankenwald-Gymnasiums. „Die Debatte wird den Schülerinnen und Schülern im digitalen Raum zur Verfügung gestellt werden.“, so der sichtlich zufriedene Moderator am Ende dieser Debatte. „Eine gute Geschichte!“, so Adelt. „Sehr entgegenkommend!“, so Baumgärtner. Beide, fast unisono, loben, dass man aufgrund dieser Digitalität die langen Anfahrten nicht mehr auf sich nehmen müsse. Ein Stück Innovation im ländlichen Raum!