Mit der eigenen Unsicherheit konfrontiert

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Workshop mit dem Verein für Vielfalt in Sport und Gesellschaft, gefördert durch das Bundesprogramm Demokratie Leben, Partnerschaft für Demokratie

Unsicher betreten die Schülerinnen und Schüler der Klasse 9a den Klassenraum. Sie wissen darum, dass sie ein Workshop zur Thematik „Homosexualität“ erwartet; sie glauben, sie wüssten bereits Einiges über die Thematik. Ein wenig beklommen, so scheint es, nehmen sie im Klassenraum Platz und warten darauf, dass der Unterricht beginnt.

Bereits zu Beginn jedoch löst Herr Bankwitz, der Leiter des Workshops, diese gewohnte Unterrichtsumgebung auf. Man solle die Tische an den Rand stellen, man solle einen Stuhlkreis bilden. „Ich möchte, dass jeder jeden sieht.“, so der Workshopleiter zu Beginn. Die Schülerinnen und Schüler stehen auf, räumen den Klassenraum frei, stellen die Stühle um - und urplötzlich herrscht eine vollkommen andere Atmosphäre, so meint man. Während Herr Bankwitz sich vorstellt, lässt er Klebezettel herumreichen; die einander bekannten Schülerinnen und Schüler tragen ihre Namen auf die Klebezettel, bappen sich die Zettel an die Brust und geben ihre Komfortzone auf; sie sind dem engagierte Projektleiter bekannt, er kann sie direkt ansprechen, er kann sie in die Runde hineinholen, er kann sie zum Thema befragen.

Der Workshop an diesem Tag ist ein typischer Workshop. Die Gruppe tastet sich an die Thematik langsam heran, sie spricht weitgehend offen in jenem Raum, der nur dieser Gruppe an diesem Vormittag gehört, sie öffnet sich teilweise …

Behutsam geht Herr Bankwitz daran, jeden Einzelnen an dieser scheinbar noch immer nicht so einfache Thematik heranzuführen: So lässt er zu Beginn ein Warm-Up durchführen. „Alle stehen auf, die nicht in Kronach wohnen.“ Die Angesprochenen stehen auf, suchen sich einen frei gewordenen Platz; derjenige, der keinen Platz findet, führt das Spiel fort. Es wird lockerer in der Runde. Selbst dann, als Herr Bankwitz langsam das Thema in diesen Spielraum hineinführt. „Es stehen alle auf, die eine Homosexuelle oder einen Homosexuellen kennen.“ Man steht auf, man schaut sich einander an, ist für den Augenblick, so meint der Beobachter, überrascht, man setzt sich. Aus dem scheinbar Noch-nicht-Normalem wird urplötzlich etwas doch Normales.

Zunehmend wendet sich der Workshop dem eigentlichen Anlass zu. Nach dieser Lockerung erfragt der Referent, inwieweit der Gruppe der zusammengesetzte Begriff „LGBTIQ+“ bekannt ist. Schwul, lesbisch, bisexuell - das sind Aspekte, die von den Teilnehmern schnell benannt werden und mit denen die meisten Schülerinnen und Schüler etwas anfangen können

Anders schaut es aber aus mit den Bezeichnungen „Transsexuell“, „Intersexuell“ und „Queer“. Einige wenige Schülerinnen und Schüler wissen um die Bedeutung dieser Begriffe, können sie erklären; anderen jedoch fehlt es hier am Verständnis.

Der Referent nimmt sich die notwendige. Zeit Mithilfe derjenigen, denen die Begrifflichkeiten nicht unbekannt sind, klärt der Workshop auf. Dabei geht es nicht um das klassische Unterrichtsgespräch, vielmehr ist es ein vorsichtiges Herantasten an diese Thematik. Herr Bankwitz bleibt dabei im Hintergrund, wirft Fragen ein, nimmt Debattenbeiträge der Schülerinnen und Schüler auf und wirft sie sogleich wieder in die Runde hinein, moderiert geschickt das Suchen der Schülerinnen und Schüler nach den passenden Antworten. Nach und nach verschafft sich die Gruppe gemeinsam einen Überblick über die Thematik; nach und nach verlieren die unbekannten Begrifflichkeiten ihr Unbekanntes, gewinnen in den Worten der Schülerinnen und Schüler etwas Greifbares, fast so, als verständige man sich in der Gruppe, fast so, als würde aus dem Fremden etwas für die Schülerinnen und Schüler nunmehr Nahes ... Herr Bankwitz drängt sich dabei nicht auf: „Die Schülerinnen und Schüler sollen sich an die Bedeutungen herantasten.“.

Natürlich kann man einige Aspekte noch genauer darlegen. Wenige haben sich hier eine vertieftere Ausführung gewünscht. „Es geht nicht darum, dass man alle Facetten der Thematik in Gestalt eines Monologes darlegt“, so Tobias Pohl, Leiter des Arbeitskreises Politik, dem es zu verdanken ist, dass diese Veranstaltung zustande gekommen ist: „es geht darum, dass man die Schülerschaft für die Thematik zu sensibilisieren beginnt.“

Ein Beginn also, ein Anstoß: Den Schülerinnen und Schülern soll bewusst gemacht werden, dass „die Welt da draußen bunter ist, vielfältiger ist, vor allem aber nicht so einfach zu klassifizieren ist.“, so Tobias Pohl. „Die Zeit einer einfachen Einteilung der sexuellen Orientierung ist vorbei! Das ist durchaus beängstigend für manchen; denjenigen muss man die Angst nehmen, indem man zeigt, dass die sexuelle Vielfalt keine Bedrohung darstellt, vielmehr eher eine Bereicherung, ein Bekenntnis zu Menschenwürde und Demokratie.“, so der Leiter des Arbeitskreises.

Im weiteren Verlauf des Workshops nährt sich die Gruppe langsam den stereotypischen Wahrnehmungen. „Wie nehmt ihr euer Gegenüber wahr? Was wisst ihr eigentlich von dem, von dem ihr meint, dass ihr ihn kennt?“, so Herr Bankwitz.

Es beginnt der zweite Teil des Workshops. In der Folge lässt der Referent die Schülerinnen und Schüler Zeit und Raum: Sie sollen über sich nachdenken, sich selbst dabei etwas genauer sehen und wahrnehmen. Wer bin ich eigentlich? Was macht mich aus? Indem die Schülerinnen und Schüler den Umriss ihrer rechten Hand auf ein Papier bringen und diesen Umriss mit ihren Vorlieben, Charaktereigenschaften und Bedürfnissen füllen, wird ihnen urplötzlich bewusst, wie facettenreich die kleinen Persönlichkeiten mittlerweile sind, wie sehr sie divergieren in den Schüler auf der einen Seite, den jungen Erwachsenen dazwischen, den unsicher ins Leben Strebenden auf der anderen Seite.

Herr Bankwitz stellt diese Zusammenstellung nicht vor. „Es ist eine Botschaft an euch! Das bin ich!“, so der Workshopleiter.

Im Anschluss daran aber greift er die Allgemeinheit dieser Übung auf: Wenn den Schülerinnen und Schülern während dieser Übung bewusst geworden ist, dass bestimmte Details ihrer Persönlichkeit selbst den Freunden verborgen bleiben, wie können sie dann davon ausgehen, dass der Freund oder die Freundin sie wirklich kennt. Und wenn man sich selbst dies eingestehen muss, wie kann man dann sicher sein, dass man selbst den Freund oder die Freundin kennt?

„Jeder denkt stereotypisch, jeder denkt in Vorurteilen.“, so der Referent: „Der Alltag ist voll von solchen stereotypischen Wahrnehmungen.“ Die Frage sei, wie man damit umgehe: Lasse man zu, dass die Wahrnehmung von Vorurteilen verleitet werde, oder mache man sich die Mühe, die Wahrnehmung zu überprüfen, den Gegenüber genauer kennenzulernen, das Wahrgenommene einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Ein schwieriges Unterfangen, das nicht immer gelingen will.

In diesem Moment wird Herr Bankwitz persönlich und gewährt der Gruppe einen Blick in seine Biografie. Er erzählt von seinem besten Freund, seiner eigenen Unsicherheit ob des Entschlusses, seinem Freund seine Homosexualität zu gestehen - ein Detail, das er ihm bisher verschwiegen hat. Er führt aus, dass er ihn in dessen Wohnung besucht hat, dass man geredet hat, dass er das Gespräch irgendwann auf dieses Thema gelenkt hat … Er stockt kurz! Schließlich führt er aus, dass sein Freund ihn augenblicklich aus seiner Wohnung geworfen hat.

Das Auditorium schweigt mitfühlend für den Moment.

„Es geht um die Frage, ob wir es zulassen, dass Vorurteile unser Leben bestimmen, oder ob wir es uns zur Aufgabe machen, diese Vorurteile langsam abzubauen.“, so Herr Bankwitz weiter: „Das macht Arbeit!“ Es ist eine Arbeit, der sich unter anderem der Verein für Vielfalt in Sport und Gesellschaft verschrieben hat: Als ob man die schwarz-weiß-getünschte Welt ein bisschen bunter machen müsse.

Als er es seinen Eltern gestanden hat, ist die eigentlich bunte Welt für einen Moment zurückgefallen in den Schwarz-Weiß-Anstrich. „Was sollen denn die Nachbarn denken, so meine Mutter im ersten Augenblick.“ Das Erlebnis hat damals verletzt; es hat ihn geprägt, bis heute. Er könne heute seiner Mutter verstehen. Das macht das Erlebte nicht einfacher; es zeugt nur davon, dass das Gefühlte verarbeitet ist.

Zum Abschluss des intensiven Workshops reflektiert die Klasse das Erlebte. Der Workshop habe das erfüllt, was man erwartet habe, so eine Schülerin. Er hat wachgerüttelt, er hat die Schülerinnen und Schüler gepackt, er hat dazu angehalten, dass man die einfachen Dinge, die einfachen Vermessungen  von Welt und Gesellschaft hinterfragen muss. Erst recht dann, wenn man selbst Gefahr läuft, die eigene Messung seiner Welt einem stereotypischen Muster zu unterwerfen.

Wie wahr! Denn ein wenig weniger Stereotyp, ein wenig mehr davon, dass man sich mit seinem Gegenüber auseinandersetzt, ein wenig mehr Mühe, seinen unsicheres Spiegelbild verstehen zu wollen, führt dazu, dass die Demokratie nicht nur geträumt, nicht nur gedacht, sondern gelebt und in ihrer Vielfalt gefördert wir

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