Debatte zur Frage nach der Rechtfertigung der Waffenlieferungen an die Ukraine
von Barbara Bornschlegel (Kommentare: 0)
Der Krieg in der Ukraine tobt weiter, neue russische Angriffswellen begegnen zunehmend besser ausgestatteten ukrainischen Militärs. Und die westliche Welt beginnt darüber zu streiten, wie man den Konflikt beilegen kann, um die Gefahr eines möglichen Atomkrieges zu bannen.
Es ist nicht die erste Debatte, die das Frankenwald-Gymnasium in Kronach über den Krieg in der Ukraine führt. Doch mit jeder Debatte ändert sich ein wenig der Fokus auf den Krieg. Ein von Angst ergriffenes Publikum lauschte den Ausführungen der damaligen Debattengäste: Von einem entschlossenen Auftreten gegen Russland war die Rede, von der Sorge eines um sich greifenden Krieges sprach man, davon, dass man der Ukraine beistehen müsse; die erste Debatte endete und zwei Tage später brach der Krieg aus. Alle skizzierten Szenarien, das Hoffen auf ein russisches Einlenken, es war verflogen mit dem Rauch der ersten Bomben und Raketen, die auf die Ukraine abgeworfen, abgeschossen worden waren. Im Juni traf man sich erneut, dieses Mal digital. Es war die ernste Sorge, die Ukraine verliere wahrscheinlich den Krieg, denn die zugesagte Unterstützung hörte sich gut an, die versprochenen Waffenlieferungen ließen auf sich warten und die westliche Welt, so schien es, zierte sich ein wenig, spielte sich ein wenig den Ball der Verantwortung zu, das entschlossene Handeln scheinbar vergessend.
Mittlerweile ist Juli! Nunmehr führen beiden Seiten einen entschlossenen Krieg, nunmehr führen beide Seiten einen Krieg mit annähernd gleichen Möglichkeiten, so meint man. Die Ukraine ist mittlerweile mit Waffen aus dem Westen ausgestattet, ist mittlerweile in der Lage, russische Waffenlager anzugreifen und dem russischen Militär empfindliche Niederlagen beizufügen; Russland auf der anderen Seite scheint überrascht, verstärkt die Raketenangriffe auf die Ukraine, verstärkt das kriegerische Bellen seiner in der Verantwortung stehenden Politiker und sieht sich konfrontiert mit der Tatsache, dass die eigene Truppe scheinbar die Glauben an den Sieg zu verlieren meint.
Ein Ausgleich zwischen zwei Mächten, der eigentlich nicht möglich ist, nicht möglich sein darf: Eine Atommacht auf der einen Seite, die zusehends mit einer Realität konfrontiert wird, die Moskau nicht gefallen kann, nicht gefallen wird, die vielmehr in Moskau zu Planspielen anregen wird, die dem Westen nicht gefallen werden. Ist nicht in diesen Tagen Putin nach Teheran gereist? Als ob der eine Autokrat dem anderen Autorkaten beizustehen sich erlaubt. Ein Bild, das man bereits kennt, ein schockierendes, ein beängstigendes Bild, das bereits früher über die Bildschirme geflimmert ist, als Putin sich mit den chinesischen Autokraten traf und dem Westen unverblümt anzeigte, dass durch dessen Politik eine Allianz der Autokraten zu entstehen scheint.
Auf der anderen Seite ein Staat, der festhält an den Grundbedingungen des Völkerrechts: Selbstbestimmung, Souveränität und territoriale Integrität. Ein Staat, der lediglich auf seinem Recht der Selbstverteidigung pocht und dabei diejenigen um Hilfe bittet, die im Zuge dieses Konflikts immer wieder betont haben, dass die westlichen Werte in den weiten Landschaften der Ukraine, vor allem aber im Donbass verteidigt werden.
Und dazwischen entbrennt derzeit eine Debatte darum, ob die Bundesrepublik Waffen an die Ukraine liefern dürfe. In dieser Gemengelage debattierten am 18. Juli der Fraktionsvorsitzende der FDP im Bayerischen Landtag, Martin Hagen, die friedenspolitische Sprecherin der Fraktion der GRÜNEN im Bayerischen Landtag, Anne Franke, und der SPD-Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Oberfranken, Michael C. Busch.
Schon zu Beginn der Debatte stellt man fest, dass man der Ukraine helfen müsse. Beistehen müsse! Es sind die altbekannten Narrative; sie sind nicht verwerflich, sie stellen lediglich den Ist-Zustand eines Krieges fest, der nicht nur gegen das Völkerrecht verstößt, sondern der den Europäern die bis dahin bekannte friedliche Welt zerstört. Es sei ein Verbrechen, stellt Busch in diesem Zusammenhang unumwunden fest; folglich müsse man, auch um an den Werten des Völkerrechts festzuhalten, der Ukraine beistehen, damit dieses Land in die Lage versetzt werde, sich zu verteidigen. Solchen Ausführungen stimmt man unumwunden zu; gleichwohl fragt man sich bereits hier, ob man Angst haben muss vor den Folgen dieses Bekenntnisses. Sei man bereit, auch die Option eines damit verbundenen, möglichen Atomkrieges in Kauf zu nehmen? „Das kann ich mir nicht vorstellen. Diesen letzten Schritt, der die eigene Vernichtung ebenso einschließt, das kann ich mir nicht vorstellen.“, so Hagen. In Moskau mögen zwar Autokraten am Spieltisch der Welt stehen, aber auch diese Autokraten sind einem weltpolitischen Spiel der Vernunft unterworfen.
Ein Spiel der Vernunft in einer Welt der unvernünftigen Machtproben, so scheint es. Als ob die internationale Gemeinschaft ungewollt zurückgekehrt ist in eine Welt, in der derjenige entscheidet, der Macht hat, der Atomwaffen besitzt, der dadurch seinen Partnern die Bedingungen diktieren kann, seine Regionen durchherrschen kann, seine Vasallenstaaten prügeln kann - bisweilen sogar erobern kann, sofern diese es wagen, sich gegen den Willen des Hegemon zu stellen.
Ein waghalsiges Spiel der Vernünftigen und deren Einsicht in ihre bedauernswerten Abhängigkeiten: Die zu Beginn des Krieges existente und ehrlich gemeinte Solidarität mit der Ukraine weicht dem bangen Blick auf die in die Höhe schnellenden Preise an den Zapfsäulen der Republik und das klamme Gefühl, dass der ferne Krieg in der Ukraine langsam auch Deutschland übergreift, entkleidet sich zunehmend in eine nachvollziehbare Sorge, ein Runzeln auf der Stirn … Und die noch im Februar bekannte Solidarität, das ehrliche Einstehen für die bedrohte Ukraine, wandelt sich stetig in ein Gefühl der Distanz, ein Fragen danach, wohin dieser europäische Konflikt den Kontinent noch mitziehen wird …
Und doch, so Frau Franke zu Beginn der Debatte: „Die Ukraine hat ein Recht, sich zu verteidigen.“. Nicht nur dieser Krieg, sondern auch schon die Kriege Russlands zuvor, zeigen an, dass Ziele und Grundsätze der UN-Charta missachtet werden, dass man das Recht, welchem man sich unterworfen hat, bisweilen mit fadenscheinigen Legitimationen ausgehebelt hat. Man verfolgt ein angeblich faschistisches Regime in der Ukraine, man will das angeblich bedrohte Volk befreien von seinen Machthabern; eine schräge, obskure Sicht Moskaus auf die demokratische Realität eines legitimen Präsidenten, der sein Land in den Westen zu führen sich erlaubt.
Im Entschließungsantrag der Fraktionen des Bundestages – mit Ausnahme der Fraktion der AfD und der LINKEN – vom 28. Februar 2022 hieß es: „Die Bundesrepublik Deutschland steht fest und unverbrüchlich an der Seite unserer ukrainischen Freundinnen und Freunde. Wir teilen die Werte der Demokratie, Freiheit und des Friedens. Diese Werte und die Menschen, die dafür einstehen, werden wir niemals aufgeben.“ Man stehe an der Seite der Ukraine. Nur was bedeutet dies. Ist dies eine Verpflichtung? Wenn ja, zu was?
Die friedenspolitische Sprecherin der GRÜNEN führt in diesem Zusammenhang aus, dass man die Ukraine, auch mit Waffen, unterstützen muss; gleichwohl aber muss man die diplomatischen Bemühungen forcieren, Russland anzeigen, was man verlangt, um die Sanktionen zurückzunehmen. Russland wird aber erst dann zu ernsthaften Verhandlungen bereit sein, wenn Putin erkennt, dass er auf dem Verhandlungsweg mehr erreichen kann als mit militärischen Mitteln. Ein vernünftiges Ansinnen. Kein kopfloses Aufgeben ukrainischer Rechte. Ihre Ausführung bewegt sich dabei im Fahrwasser der bundesdeutschen Außenministerin, Frau Baerbock; dem STERN gegenüber erläuterte sie am 13. Juli: „Welches Recht hätte ausgerechnet eine deutsche Außenministerin, für die Ukraine zu entscheiden, welchen Teil ihres Landes sie bitte schön abgibt, wie viele Millionen ihrer Bürgerinnen und Bürger sich Russlands Herrschaft zu unterwerfen haben?“
Man muss doch das große Ganze sehen. Ein leicht daher gesprochener Satz. Ein Bemerken der eigenen Abhängigkeiten, ein wohlwollendes Wegschauen ob der Tatsache, dass man naiv diese Abhängigkeiten zugelassen hat. Als ob man den Autokraten und dessen expansive, dessen aggressive Außenpolitik nicht hat wahrnehmen wollen! Als ob man, einem fatalen Glauben aufgesessen, darauf gebaut hat, dass der Despot Putin, dass Russland sich beruhigen werden.
Ein notwendiges Blindschauen ob der Kriege des ehemaligen KGB-Agenten in Georgien, Tschetschenien und der Krim! Und ein fragwürdiges Hinauffahren deutscher Abhängigkeiten von russischen Rohstoffen! „Als ob man nichts aus dieser Geschichte gelernt hat.“, so Tobias Pohl: „Nunmehr geht man neue Abhängigkeiten mit neuen Autokraten ein!“
Man muss doch das große Ganze sehen. Man spielt doch aber mit der Gefahr eines Atomkrieges, je länger der Krieg in der Ukraine andauert. Ein Vorwurf an die Bundesregierung, von denen vorgebracht, die sich in mehreren offenen Briefen gegen jede Waffenlieferung aussprechen, die sich in mehreren offenen Stellungnahmen dafür einsetzen, dass der Krieg in der Ukraine auf Initiative des Westens beendet werden muss.
Wenn wir diesem Narrativ folgen würden, so Hagen, dann werde unsere Position unglaubwürdig, dann könnten wir zwar einerseits von Werten sprechen, andererseits aber diesen Werten nicht mehr das moralische Gewicht verleihen. „Wie reagieren wir, wenn Litauen angegriffen wird, wenn Polen angegriffen wird, wenn … Ich möchte mir nicht ausmalen, was geschieht, wenn Russland nach weiteren Staaten im Osten Europas greift.“, der der FDP-Politiker energisch. Keine obskure Ausführung, vielmehr eine beängstigende Weitsicht ob der Tatsache, dass Putin an die Zeiten von Stalin erinnert, an die Zeiten von Peter dem Großen, an Zeiten, in denen ein russisches Imperium weite Teile des Ostens Europas kontrolliert hat, mit harter Hand unterjocht hat, mit Gewalt unterworfen hat.
Verpflichten bedeutet in diesem Moment, dass man Waffen liefert. Die Debatte, ob man Waffen liefert oder nicht, die müßige Unterscheidung zwischen Offensiv- und Defensivwaffen, ist eine Scheindebatte. „Ich weiß nicht, warum wir uns in Deutschland diese Debatte leisten.“, so Busch im Zuge der Debatte: „Die Dinge liegen dieses Mal recht eindeutig vor uns. Wir unterstützen keinen expansiven Krieg der Ukraine, wir unterstützen ein Land, das mit den wenigen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, lediglich sein Recht auf Existenz verteidigt.“
Ist die Zeit angesichts der Beugung des internationalen Rechts, angesichts der Tatsache, dass zunehmend Menschen in Deutschland zu zweifeln beginnen am einstmals entschlossenen Auftreten gegenüber Russland, dass man lieber wieder zurückkehren will zu alten Verhältnissen und damit mit einer gewissen Gleichgültigkeit in Kauf nimmt, dass ein geschundenes, von Krieg zerstörtes Land auf lange Sicht erobert und zerstört wird, ist die Zeit des Pazifismus vorbei?
In dem Appell „Waffenstillstand jetzt!“, u.a. von Richard David Precht, veröffentlich in der ZEIT am 29. Juni fordert man Folgendes: „Verhandlungen bedeuten nicht […] der Ukraine eine Kapitulation zu diktieren. Einen Diktatfrieden Putins darf es nicht geben. Verhandlungen bedeuten auch nicht, etwas über den Kopf der Beteiligten hinweg zu entscheiden. Die internationale Gemeinschaft muss vielmehr alles dafür tun, Bedingungen zu schaffen, unter denen Verhandlungen überhaupt möglich sind. Dazu gehört die Bekundung, dass die westlichen Akteure kein Interesse an einer Fortführung des Krieges haben und ihre Strategien entsprechend anpassen werden.“
Ist es so einfach? Schaffung von Bedingungen: Ein Einmischen in das Recht der Selbstbestimmung eines freien Volkes, ein Aufgeben von Waffenlieferungen. Das Ausliefern eines Volkes. Alsdann der messerscharfe chirurgische Eingriff eines Autokraten aus Moskau! Der Erhalt des großen Ganzen!
In einer Demokratie muss man den Diskurs pflegen: Man muss sich zuhören, man muss Argumente austauschen und den Widerspruch aushalten; das ist die Geschäftsbedingung von Demokratie! Folglich ist es nicht zielführend, wenn die einen den anderen Arroganz in der Debatte vorwerfen.
Eine Debatte zu führen, heißt aber nicht, zu vergessen, woher wir kommen und wer wir sind. Die merkwürdigeanmutende Argumentation derjenigen, die über die Köpfe eines um seine Existenz kämpfenden Volkes zu entscheiden sich erdreisten, ist auch notwendiger Teil des demokratischen Diskurses. Dass man denjenigen aber Gleichgültigkeit vorwirft, bisweilen sogar Geschichtsvergessenheit, ist die logische Konsequenz eines um sein Erbe wissenden Demokraten.
„Wir können nicht immer von demokratischen Werte sprechen, wir können nicht immer unseren Beistand bekunden, den bedrohten Völkern zurufen, wir wollen ihnen helfen, und dann diese Hilfe billig vergessen im Angesicht steigender Preise und der möglichen Konsequenz eines moralischen Auftretens, der möglichen Folge eines Bekenntnisses auf demokratische Spielregeln.“, so Tobias Pohl im Zuge der Debatte. „Die Idee des Pazifismus lebt! Sie gibt uns Optionen an die Hand. Wir müssen aber einsehen, dass der Preis der Freiheit etwas von uns verlangt, dass die Verteidigung der Demokratie, auch im internationalen Raum, fordert, dass man Worten Taten folgen lässt!“, so der Moderator.
Es geht um Wehrhaftigkeit! Oder? „Pazifismus war für mich nie ohne Wehrhaftigkeit denkbar.“, so Busch: „Aber wir brauchen ihn als Spiegel für alle Überlegungen, die Krieg, Gewalt, Abschreckung, ja auch Waffenlieferungen rechtfertigen wollen. Pazifistische Argumente sind dabei immer mitzudenken.“
Es geht nicht nur um Wehrhaftigkeit. Es geht darum, dass die westliche Welt einsehen muss, dass jede notwendige Rhetorik, jede Rede, jede Erklärung stets die Folge einer logischen Tat beinhaltet. Beinhalten muss! Denn es geht um Glaubwürdigkeit, um Beständigkeit gegenüber denen, denen man beizustehen gedenkt, um Loyalität - und das Vertrauen in diejenigen Überzeugungen, die gemahnen, dass ein Imperativ mehr ist als nur ein dem Stimmungsgrad der Bevölkerung angezeigtes Lächeln!
Die logische Tat in diesem Fall ist, dass man nicht nur Waffen liefert, sondern Bedingungen aufstellt, wie man aus diesem Konflikt herauskommt, Bedingungen aufstellt, wie eine Eskalation verhindert werden kann. Bedingungen formuliert, die jedes Kleinmachen der Ukraine vermeidet. Denn die Ukraine ist kein Spielball im großen Ganzen der Welt!
By Mil.gov.ua, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=120081407