Debatte des Arbeitskreis Politik zur Ukrainekrise
von Barbara Bornschlegel (Kommentare: 0)
Mit der Ukraine-Krise nahm sich der Arbeitskreis Politik des Frankenwald-Gymnasiums des derzeit alles beherrschenden Themas an. Mit Kommunal-Politikern diskutierten die Schüler der elften Jahrgangsstufe am Dienstag, weshalb die EU sich in diesem Konflikt einbringen müsse und wie dies gelingen könne.
Kronach- In der Nacht von Montag auf Dienstag hat der russische Staatspräsident Wladimir Putin die beiden Separatistengebiete anerkannt und somit das Minsker Abkommen aufgekündigt: Mittlerweile sind russische Truppen in Bewegung. Man wolle den Frieden in Luhansk und Donezk verteidigen, heißt es in Medienberichten, die die Mitglieder des Arbeitskreises Politik am Dienstagvormittag noch eilig studiert hatten. Entsprechend gedrückt war die Stimmung bei der Debattenrunde am Frankenwald-Gymnasium.
„Eigentlich sollte diese Debatte etwas Normalität an unserer Schule einläuten; dürfen wir doch wieder Gäste von außen begrüßen“, sprach eingangs Direktor Harald Weichert von einem komischen Gefühl von Freude. Der Anlass sei jedoch mehr als traurig: Man befinde sich in einer extrem heiklen Situation und könne nicht mit Gewissheit sagen, wohin sich diese Eskalation zwischen Ost und West weiter entwickeln werde, meinte auch der Debattenleiter, Arbeitskreis-Leiter Tobias Pohl.
In ihrem Eingangsvortrag zeigte Marlene Joger von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zum einen die Schwäche der EU gegenüber diesen Entwicklungen auf. Zum anderen ging sie darauf ein, dass sich Russland als Supermacht in Europa gebärde. Zwischen einem schwachen Europa und einem sich stark fühlenden Russland müsse die Ukraine um die staatliche Existenz fürchten und sei zum Spielball einer Politik in Osteuropa mutiert, die durch Missverständnisse, aber auch durch Angst und Furcht auf beiden Seiten geprägt sei.
„Der Konflikt ist zwar in der Ukraine, aber aufgrund der Konstellation ist die Bedrohungslage auch für den Rest Europas greifbar“, zeigte sich Pressigs Altbürgermeister Hans Pietz (FW) besorgt. Allein schon aufgrund der atomaren Bedrohungslage müsse die Mitte Europas an Strategien zur Deeskalation interessiert sein. Gleichwohl wisse er nicht wirklich, wie man einem Autokraten wie Putin beikommen könne: „Putin greift nach der gesamten Ukraine. Die Frage ist doch, inwieweit dieses neuerliche Lehrstück ihm die Möglichkeiten anzeigt, welche Teile Europas er demnächst ins Visier seiner expansiven Politik nehmen kann.“
Dr. Ralf Pohl (SPD) zeigte sich felsenfest davon überzeugt, dass - neben allen Drohgebärden -eine Lösung auf diplomatischem Weg erzielt werden müsse. In diesem Zusammenhang wehrte er sich gegen den medialen Vorwurf, Bundeskanzler Scholz sei ein Zögerer, mit dem die Außenpolitik der BRD an Verlässlichkeit verloren habe. Im Gegenteil: Gerade das überlegte Handeln der Regierung Scholz lege doch nahe, im Hintergrund auf diplomatischem Weg an Lösungen zu arbeiten: „Wir müssen mit Russland ins Gespräch kommen. Es kann nicht sein, dass wir nur darüber sprechen, dass beide Seiten Fakten schaffen, die nicht deeskalieren, sondern die Eskalation weiter vorantreiben.“ Natürlich sei ihm bewusst, dass die Sanktionen sich aus der Logik ergeben haben, dass Russlands aggressive und expansive Politik ein Agieren des Westens notwendig gemacht habe. „Man muss der Ukraine doch zeigen, dass die EU und der Westen an der Seite dieses bedrohten Staates stehen!“, so Dr. Pohl. Ihm sei aber klar, dass die Sanktionen möglicherweise keine Wirkung erzielen werden; habe doch die bisherige Sanktionspolitik Putin bislang eher kalt gelassen.
„Die Überraschung über die Entwicklung seit Montag verstehe ich nicht!“, meinte der ehemalige Bundeswehrsoldat Oliver Ramm (FDP): „Man zieht doch keine Truppen an strategischen und neuralgischen Punkten zusammen, um Gefechtsübungen zu veranstalten.“ Ihn wundere, warum man die Entwicklungen zugelassen habe. Er frage sich, ob man derzeit eine neue Appeasement-Politik erlebe; lasse man doch zu, dass ein Diktator mit exakt vorhersagbaren Methoden neuerlich nach einer ehemaligen Sowjetrepublik greife. „Tschetschenien, Georgien, die Krim – und nun die Separatistengebiete. Warum begegnet man diesem Autorkaten nicht entschiedener? Lässt man diese Entwicklung weiter zu, wer kann dann mit Gewissheit sagen, dass nicht alle anderen ehemaligen Sowjetrepubliken im Osten Europas auch von Putin bedroht werden“, warf er in den Raum.
Wie aber könne man dann der aggressiven Politik eines Diktators wie Putin begegnen, so eine Frage aus der Schülerschaft. „Die Grenze für das expansive russischen Umsichgreifen im Osten Europas ist die Grenze der EU!“, unterbrach Dr. Jonas Geissler die zunächst „gespenstige“ Ruhe. Wie alle anderen beschlich auch dem CSU-Bundestagsabgeordneten angesichts der Entwicklungen eine gewisse Ratlosigkeit: Putin mache es dem Westen schwer, denn sein Handeln entziehe sich jeder rationalen Vorhersagbarkeit. Überzeugt zeigte er sich, dass niemand einen Krieg wolle - weder der Westen noch der Osten. Folglich gehe er davon aus, dass beide Seiten irgendwann den Weg an den Verhandlungstisch zurückfinden müssen. Dennoch aber treibe ihn die Sorge um, nicht wirklich zu wissen, wie weit der expansive Anspruch Russlands in der Ukraine reichen werde. „Putin hat die beiden Separatistengebiete zwar anerkannt, es aber tunlichst unterlassen, die Grenzen der beiden Gebiete genau zu bestimmen.“ Geisslers Meinung nach helfen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur harte wirtschaftliche Sanktionen. Man müsse aber ehrlich sein, dass diese auch die deutsche Wirtschaft treffen: „Aber man muss einfach festhalten: Entweder wir sanktionieren das aggressive russischen Gebären, oder aber wir lassen zu, dass sich die Eskalationsspirale zu einer immer entfesselteren Gewaltspirale verwandle.“
Kann man den harten Sanktionskurs aufrechterhalten, wenn man davon ausgehen muss, dass diejenigen, die in Deutschland von möglichen Auswirkungen bedroht sind, vielleicht bei der nächsten Wahl anders wählen? Populistisch? Extremistisch? Wie wolle man glaubwürdig diese Sanktionen aufrechterhalten, so eine Schülerin aus dem Auditorium, wenn man sich gleichzeitig um den wirtschaftlichen Standortfaktor Deutschlands Sorgen mache?
Man habe sich zu sehr von russischem Gas und russischem Öl abhängig gemacht, prangerte Edith Memmel von den Grünen an. Mit dem Auftreten der Bundesregierung, insbesondere von Bundesaußenministerin Baerbock, sei sie einverstanden. Aber sie erinnerte bedrückt an die bis ins grüne Mark gegangene Diskussion um die Positionierung ihrer Partei hinsichtlich militärischer Auseinandersetzungen - der Frage, ob ein Krieg gerechtfertigt sei, um Autokraten wie Putin Einhalt zu gebieten. Eine neuerliche Zerreißprobe der Grünen deute sich möglicherweise an. „Natürlich müssen wir der Ukraine beistehen!“, verdeutlichte sie: „aber mit unseren Mitteln, unseren Überzeugungen. Liefern wir Waffen, überschreiten wir rote Linien, tragen wir nicht mehr zur Deeskalation bei und sind so kein zuverlässiger Verhandlungspartner mehr für Russland!“ Für sie wie ihre Diskussionsteilnehmer sei das Völkerrecht nicht wegzudiskutierende Basis allen Handelns im internationalen Raum: Putin habe in ihren Augen diese Basis längst verlassen. Gleichwohl frage sie sich auch, ob der Westen nicht vielleicht auch für die Entwicklung im Osten Europas verantwortlich sei: „Mit Drohgebärden zu beiden Seiten erreicht man doch nichts!“ Deeskalation, erst recht ihrer Meinung nach im Umgang miteinander, im kommunikativen Prozess zwischen Ost und West.
Habe man die Ukraine verraten, warf Tobias Pohl am Ende in den Raum. Man verstehe die Emotionalität der Ukraine, so das Podium, aber Deutschland leiste viel. Mittlerweile diskutiere man, sicher unter vorgehaltener Hand, ob man über den neuerlichen Status-quo hinaus nun Verhandlungen beginnen solle, ob man nicht akzeptieren müsse, dass zwei neue Staaten zwischen der Rest-Ukraine und Russland existierten. Bedrückt und von Sorge geleitet hatte die Debatte begonnen; bedrückter und von noch mehr Sorgen geleitet endete sie.
Heike Schülein