Auf den Spuren der Geldpolitik

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Ein Artikel von Julian Baumgärtner am 13. Dezember 2021

Ein roter Bus fährt am Schulzentrum vor. Die Türen öffnen sich. Ein Schüler steigt ein. Wenige Minuten später ist der Bus wieder verschwunden. Bemerkt hat ihn kaum jemand. Vor allem nicht die Schülerinnen und Schüler der Q12, die in diesen Minuten im Mehrzweckraum Platz genommen haben. Gespannt richtet sich ihr Blick auf einen schwarzen Bildschirm am Ende des Raumes. Zwei Lehrkräfte tippen Wörter in eine Tastatur. Ein paar Mausklicks später steht die Verbindung und ein älterer Herr erscheint auf dem Bildschirm. Graue Haare, ein blaues Hemd, ein freundliches Lächeln. In seiner Brille spiegeln sich die Diagramme und Charts seines Bildschirms. Nach einer kurzen Vorstellung seiner Person geht es direkt zur Sache: Die Grundlagen der Geldpolitik, die Aufgaben der EZB im Euroraum, wachsende Inflationsängste und geldpolitische Instrumente.

Es ist Montag, der 13. Dezember 2021. Nur noch 11 Tage bis Weihnachten. Und doch wird es für die Schülerinnen und Schüler der Q12 noch einmal richtig spannend: Markus Schiller, Bundesbankdirektor und Leiter der Filiale Nürnberg der Deutschen Bundesbank schaltet sich an diesem Montag digital für einen Vortrag über Geldpolitik aus Nürnberg zu. Gemeinsam mit ihm begeben sich die Schülerinnen und Schüler für zwei Schulstunden auf die Spurensuche der Geldpolitik und jagen das Gespenst der Inflation, das außerhalb des Frankenwald-Gymnasiums in der Wirtschaft immer größere Kreise zieht und bei Unternehmern wie Notenbankern zunehmend Besorgnis auslöst.

Tatsächlich war das Thema des Vortrages so aktuell wie selten zuvor. Die COVID-Pandemie, Lockdowns, Grenzschließungen - all das belastete die Wirtschaft in den vergangenen Monaten sehr. Die Europäische Zentralbank versorgte den Markt daher mit immer neuer Liquidität. Nachdem die Leitzinsen der EZB sich bereits vor der Pandemie auf einem historischen Tiefstand befanden, konnten die Währungshüter kaum mit weiteren Zinssenkungen auf die drohende Rezession in der Eurozone reagieren. Es mussten andere Wege gefunden werden: Die Nullzinspolitik der EZB wurde um ein gigantisches Programm zum Aufkauf von Anleihen mit einem gegenwärtigen Wert von 1,75 Billionen Euro ergänzt. Die Notenpresse bewegt sich damit in Rekordgeschwindigkeit, Märkte werden mit billigem Geld geflutet, die Verschuldung von Staaten und Unternehmen erreicht einen Höchststand nach dem anderen. Es ist die Ära der ultraexpansiven Geldpolitik und die Ära von Quantitative Easing, die die Schuldenspiralen weltweit immer schneller drehen lassen.

Dabei muss billiges Geld alleine noch nichts schlechtes sein. In einer Krise wie der aktuellen Corona-Pandemie stellen Kredite mit niedrigen Zinsen dem Markt Liquidität bereit, sichern kurzfristig Arbeitsplätze und helfen mittelfristig, die Wirtschaft anzukurbeln und so von einer Phase einer sich eintrübenden Konjunktur in eine neue Expansionsphase des wirtschaftlichen Aufschwungs überzugehen: Es ist das Spiel von Boom und Bust, die ständig gegeneinander ankämpfen und über das Schicksal ganzer Volkswirtschaften entscheiden.

Wie Bundesbankdirektor Markus Schiller jedoch deutlich macht, ist die Unterstützung der wirtschaftspolitischen Ziele der Europäischen Union, kurz die Stabilisierung der Wirtschaft im Euroraum, nur das Sekundärziel der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Oberstes Ziel der Währungshüter in Frankfurt ist die Erhaltung der Preisstabilität - das Preisniveau soll demnach weder ansteigen noch abfallen, eine Inflation oder Deflation vermieden werden, die Preise also konstant bleiben. Wie Schiller erklärt, ist das das sogenannte Primärziel der Geldpolitik im Euroraum. Ein Ziel, das in den vergangenen Monaten mehr als verfehlt wurde.

Die Inflation kletterte 2021 auf 3,1 Prozent, im Dezember 2021 betrug die Inflationsrate sogar 5,3 Prozent und war damit so hoch wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Das von der EZB ausgerufene Ziel der Preisstabilität hängt damit am seidenen Faden. Überhaupt hat die EZB die Definition von Preisstabilität in den vergangenen Jahren mehrmals umdefiniert. So sollte erst ein Anstieg des allgemeinen Preisniveaus, also die Geldentwertung, die von Ökonomen als Inflation beschrieben wird, verhindert werden. Dann rief die Europäische Zentralbank ein Inflationsziel von unter, aber nahe zwei Prozent aus. Eine geringe Inflation, die die Preise weitgehend stabil hält, aber einen Sicherheitsabstand zur Deflation, also der Geldaufwertung, schafft und gleichzeitig einen Anreiz für Konsum und Investitionen darstellt und so das Wirtschaftswachstum ankurbelt.

Doch auch diese ausgeweitete Definition der Preisstabilität droht angesichts einer explodierenden Geldmenge verfehlt zu werden. Erst kürzlich hat die EZB daher einen neues Inflationsziel herausgegeben: Die Inflationsrate soll in der Mitte zwei Prozent betragen, mit entsprechenden Abweichungen nach unten oder nach oben. Da die Inflation in der Eurozone in den vergangenen Jahren stets unter zwei Prozent lag, könnte laut Definition der EZB also nun eine Phase höherer Inflation folgen. Eingriffe der Zentralbank würden so unnötig, lautet die Argumentation der Währungshüter. Dem Euroraum könnten also noch auf absehbare Zeit steigende Preise drohen, zumindest wenn die anhaltenden Lieferengpässe in der Wirtschaft anhalten. Dass die EZB hingegen die Zinswende einleitet und aus der Nullzinspolitik langsam aussteigt, um so die Inflation einzudämmen, scheint unwahrscheinlich: Jeder Anstieg des Zinsniveaus würde die hochverschuldeten südlichen Mitgliedstaaten der EU, wie Griechenland, Italien oder Spanien, hart treffen und womöglich eine neue Eurokrise auslösen. Den mächtigen Währungshütern der EZB sind daher zunehmen die Hände gebunden, auch da der privatwirtschaftliche Sektor inzwischen hochverschuldet ist. Eine Dauerlösung kann die Ära des billigen Geldes aber auch nicht sein: Sie hält unproduktive Unternehmen durch günstige Kredite am Leben und verhindert so einen Prozess, der unter Wirtschaftswissenschaftlern als kreative Zerstörung bekannt ist: Unternehmen mit niedriger Produktivität und ausgedienten Geschäftsmodellen verschwinden vom Markt und machen Platz für neue, innovative Unternehmen, die für die Volkswirtschaften einen Produktivitätszuwachs erreichen und so langfristig zum wirtschaftlichen Aufschwung und steigendem Wohlstand beitragen.

Im Moment aber verhindert die expansive Geldpolitik der EZB diese Marktmechanismen. Statt neuer Champions disruptiver Innovation gleicht die Wirtschaft im Euroraum zunehmend einer Landschaft aus Zombies, die künstlich am Leben erhalten werden: Man spricht von der sogenannten Zombifizierung der Wirtschaft, die langfristig dem Wohlstand schadet und Europa international zurückfallen lässt. Gleichzeitig treibt die steigende Geldmenge die Preise von Immobilien und Aktien in schwindelerregende Höhen, es drohen Spekulationsblasen, die, sollte irgendwann eine Kurskorrektur folgen, die Wirtschaft in eine schwere Rezession stürzen könnten. Die Zukunft Europas, sie hängt einmal mehr von den Währungshütern der EZB ab, die das Gespenst der Inflation vom alten Kontinent vertreiben müssen.

Nicht nur Inflation und Deflation sowie ihre Auswirkungen auf die Realwirtschaft waren Themen des Vortrags. Auf mehr als 35 Seiten PowerPoint-Präsentation führte Bundesbankdirektor Schiller die Schülerinnen und Schüler durch die Grundlagen der Geldpolitik im Euroraum. Schiller erklärte den Oberstufenschülern unter anderem den Aufbau und die Organisation der Deutschen Bundesbank sowie deren Geschäftsfelder und Rolle im Europäischen System der Zentralbanken und dem Eurosystem. Außerdem ging er auf die Organe im Eurosystem ein, beleuchtete die Rolle der Europäischen Zentralbank im Euroraum, veranschaulichte den Zentralbankgeldbedarf der Geschäftsbanken und erklärte ausführlich, mit welchen geldpolitischen Instrumenten die Europäische Zentralbank Einfluss auf die Geldmenge im Euroraum nehmen kann.

Schiller gab auch einen Ausblick auf die Zukunft der Geldpolitik im Euroraum. Die momentane Priorität sei die Überwindung der Corona-Pandemie, so der Bundesbankdirektor. Er mahnt: Wirtschaftspolitik darf Geldpolitik nicht überfordern, vorrangiges Ziel bleibe die Preisstabilität und nimmt die Staaten in die Verantwortung: Diese müssen strukturelle und fiskalische Probleme selbst lösen, Niedrigzinspolitik und Ankaufsprogramme im Euroraum dürften kein Dauerzustand werden. Der Bundesbankdirektor hält das Rahmenwerk der Währungsunion für dringend reformbedürftig: Er fordert Haftung und Kontrolle in Einklang zu bringen und die Schuldengrenze wieder in Kraft zu setzen. Gleichzeitig brauche es eine Diskussion über die künftige Geldpolitik, so Schiller, vor allem über die Umsetzung der neuen Strategien, digitales Zentralbankgeld und die Berücksichtigung der Implikationen des Klimawandels.

Es bleibt jedoch ein Vortrag geprägt von der COVID-19-Pandemie. In den Jahren zuvor besuchten Vertreter der Deutschen Bundesbank noch persönlich das Frankenwald-Gymnasium, um den Schülerinnen und Schülern der Oberstufe die Geldpolitik näher zu bringen. Dann kam Corona. Eine Präsenzveranstaltung wurde durch die Pandemie unmöglich. Umso mehr freute es Schüler und Lehrkräfte, dass sich Markus Schiller trotz seines engen Terminkalenders bereit erklärt hat, den Vortrag als Videokonferenz abzuhalten. Einen persönlichen Besuch konnte auch sein Auftreten nicht ersetzen. Doch Schiller gab sich größte Mühe und eröffnete den Schülerinnen und Schülern während seines Vortrages die Möglichkeit, ihm Fragen über Chat oder via E-Mail zukommen zu lassen, auf die er anschließend ausführlich einging.

Die meisten Fragen hatten die Schülerinnen und Schülerinnen zu der Reaktion der Europäischen Zentralbank auf die Corona-Pandemie, dem Auflegen neuer Anleihekaufprogramme, allem voran des Pandemic Emergency Purchase Programme PEPP, zu Deutsch Pandemie- Notfallankaufprogramm der EZB, sowie dessen Auswirkungen auf die Preisstabilität im Euroraum. Weitere Fragen kamen zu den Themen digitales Zentralbankgeld und der Kontroverse, ob die EZB Nachhaltigkeitskriterien bei ihren geldpolitischen Entscheidungen berücksichtigen sollte.

Nicht alle Fragen konnten in den eineinhalb Stunden beantwortet werden. Markus Schiller nahm sich aber noch am Abend Zeit und reichte Antworten auf weitere Fragen per E-Mail nach. Für besonders interessierte Schülerinnen und Schüler verwies er auch auf mehrere Forschungsarbeiten, die sich mit dem Themen Digitalwährung und digitales Zentralbankgeld vertieft beschäftigen.

Zum Schluss seines Vortrages ging der Bundesbankdirektor auf Karrieremöglichkeiten bei der Deutschen Bundesbank ein. Angeboten werden unter anderem fünf duale Studiengänge: Zentralbankwesen, Angewandte Informatik, Betriebswirtschaft, BWL in Studienrichtung Bank sowie BWL mit Schwerpunkt Digitalisierungsmanagement. Auch nach dem Studium ist ein Einstieg jederzeit möglich: Etwa durch ein Referendariat in der Bundesbank, ein Traineeprogramm oder durch einen Direkteinstieg. Alle Interessenten könne auf der Karriereseite der Bundesbank weitere Informationen zu den Studien- und Berufsangeboten finden.

Fast 90 Minuten lang haben sich die Schülerinnen und Schüler der Q12 auf den Spuren der Geldpolitik begeben. Dabei haben sie nicht nur theoretisches Wissen erlangt, sondern auch an zahlreichen Beispielen erfahren, wie sich die Entscheidungen der EZB auf die Wirtschaft und Preisstabilität im Euroraum auswirken. Vor allem aber gab Markus Schiller einige interessante Denkanstöße mit auf den Weg: Wie wird die Zukunft der Geldpolitik aussehen? Haben wir bald alle Konten bei der Zentralbank? Und wie können wir die Preisstabilität sichern während wir gleichzeitig in eine grüne Wirtschaft investieren?

Es sind Fragen, auf die die Schülerinnen und Schüler eines Tages selbst Antworten finden können - einige von ihnen vielleicht sogar als Wirtschaftswissenschaftler bei Bundesbank und EZB. Nach dem Vortrag am heutigen Montag sind sie jedenfalls bestens über Geldpolitik informiert. Die an- und abfahrenden Busse an der Kreisbibliothek dürfte während dieser Zeit niemand gezählt haben: Es waren sechs an der Zahl.

Julian Baumgärtner ist Chefredakteur der Schülerzeitung 1240 am Frankenwald-Gymnasium Kronach. Dieser Artikel erscheint auch auf der Website von 1240, www.fwg1240.de.

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